SOFT TARGETS, exhibition view, 2024, photo: TAMARA LORENZ
SOFT TARGETS, exhibition view, 2024, photo: TAMARA LORENZ
SOFT TARGETS, exhibition view, 2024, photo: TAMARA LORENZ
Im Dezember 1915 wurde in einer St. Petersburger Ausstellung mit dem ikonoklastisch anmutenden Namen ›Letzte futuristische Ausstellung 0,10‹ ein in seiner Bildsprache buchstäblich ikonoklastisches Gemälde Kasimir Malewitschs erstmals der Öffentlichkeit gezeigt: Das »Schwarze Quadrat auf weißen Grund«. Diese radikale formale Abstraktion war mehr als nur ein Bruch mit der figurativen Malerei, sie markierte den Beginn einer neuen politischen Ästhetik. Indem Malewitsch das Quadrat in der Schau bewusst im sogenannten Herrgottswinkel platzierte, jenem Ort in russisch-orthodoxen Haushalten, der traditionell einer religiösen Ikone vorbehalten war, erhob er das abstrakte Bild, das genau genommen die Übermalung eines figurativen Gemäldes zeigte, zu einer Art Heiligenbild des modernen Zeitalters. Die dekonstruktive Geste dieser Bildplatzierung in einem ansonsten in Petersburger Hängung gestalteten Galerieraum, sollte verdeutlichen, dass die Kunst sich nicht länger nur auf narrative oder repräsentative Inhalte beschränkte, sondern ein radikales Potenzial zur Transformation von Wahrnehmung und Gesellschaft in sich trug. In der Kunstgeschichte der darauffolgenden Jahrzehnte transzendierte Abstraktion zur politischen Aussage, da sie die Macht der Form über die bloße Darstellung setzte und damit die Frage aufwarf, wie Kunst und das Politische miteinander verwoben sind, ja, bisweilen miteinander konkurrieren.
Das »Schwarze Quadrat« überdauerte die politischen, gesellschaftlichen, medienhistorischen und künstlerischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts. Doch die radikale Abstraktion stößt angesichts der komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit gleichfalls an ihre Grenzen. In der Ausstellung »Soft Targets« wird diese Radikalität der Abstraktion teilweise wieder rückgängig gemacht, sogar auf die Spitze getrieben und das Kruzifix, wie in der Arbeit »Black Square« (2015) von IRWIN, wieder in die Ecke gesetzt, und zwar in die Ecke des schwarzen Quadrates. Die Arbeiten des Künstlerkollektivs IRWIN, von Jonas Höschl und Jody Korbach, die im Rahmen der Ausstellung »Soft Targets« in den Räumen der Galerie Petra Martinetz gezeigt werden, nutzen das politische Potenzial der Kunst als Medium der Auseinandersetzung mit aktuellen politischen und sozialen Problemen. Sie stellen Fragen sowie Argumente zu Zugehörigkeit und Gesellschaftskritik, zu Identität und Konsum zur Disposition.
Bei der Kuration der Ausstellung durch die beteiligten Künstler:innen spielte die Petersburger Hängung, bei der die Wände dicht mit Kunstwerken behangen werden, als übergreifendes Ordnungsprinzip eine wichtige Rolle. Diese Präsentationsform, die ursprünglich in den Salons des 18. Jahrhunderts verwendet wurde, hat im Kontext dieser Ausstellung eine eigene Aussagekraft: Sie symbolisiert die Überflutung durch politische Reize und die komplexe Struktur, in der Inhalte an Bedeutung gewinnen. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert hatte sich die Kontextualisierung von Bildern in assoziativen Rastern bereits als bildwissenschaftliche Methode etabliert, namentlich etwa auf den Bildtafeln des Mnemosyne-Bilderatlas des Kunst- und Kulturhistorikers Aby Warburg (1866–1929). Durch das Nebeneinander der Werke in der Ausstellung »Soft Targets«, in denen die Künstler:innen jeweils in ihrer eigenen Bildsprache operieren, entsteht ein visuelles Bezugssystem, das Verbindungen zwischen Kapitalismus, Politik und kultureller Identität aufdeckt – wie es etwa in den Werken von Jody Korbach deutlich wird. Jonas Höschl beschäftigt sich in einer seiner ausgestellten Arbeiten, der druckgrafischen Serie »Europe is Lost« (2018) mit menschlichen Schicksalen, politischen Machtkämpfen und der medialen Darstellung dieser Ereignisse. Für die künstlerische Arbeit des Künstlerkollektivs IRWIN ist darüber hinaus die Verwendung von bereits bestehendem Bildmaterial als visuelle Samples von zentraler Bedeutung – ein reproduzierendes Vorgehen, von dem etwa einhundert Jahre zuvor auch Aby Warburgs Bilderatlas profitierte.
Gemeinsam zeigen diese drei künstlerischen Positionen, wie vielfältig und vielschichtig Kunst auf politische und gesellschaftliche Themen reagieren kann. In dieser Form lädt die Ausstellung »Soft Targets« dazu ein, die Kraft und Bedeutung von Bildern im politischen Diskurs zu hinterfragen.
Elif Akyüz, Kunsthistorikerin
SOFT TARGETS, exhibition view, 2024, photo: TAMARA LORENZ
SOFT TARGETS, exhibition view, 2024, photo: TAMARA LORENZ
Opening hours:
Wednesday - Friday 1-6 PM
Saturday 12-4 PM
and by appointment
Contact:
Petra Martinetz
Moltkestr. 81
50674 Cologne
[mail@]petramartinetz.de
+49 221 5679432
© 2023 Petra Martinetz. Alle Rechte vorbehalten.
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