Kein Bock, Du Sünder!
Eröffnung: Donnerstag, 08.07.2021, 17 – 22 Uhr
Opening: Thursday, 08.07.2021, 5 – 10 PM
Performance + Artist Talk (Evamaria Schaller mit / with Lisa Klosterkötter):
Freitag, 13.08.2021, 19.30 Uhr
Friday, 13.08.2021, 7.30 PM
Ausstellung bis Samstag, 21.08.2021
Exhibition until Saturday, 21.08.2021
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Evamaria Schaller, 1980 in Graz (AUT) geboren, lebt in Köln. Sie arbeitet in den Bereichen Performance, Video, Installation und Fotografie. Ihre Ausstellung Kein Bock, Du Sünder! setzt sich im Rahmen verschiedener Werkzyklen mit Fragen nach Schuldzuweisung, Moralvorstellungen, Möglichkeitsräumen und Gerechtigkeit auseinander.
Lisa Klosterkötter: Der Sündenbock ist ja ein/e Stellvertreter*in, eine Projektionsfläche, und wird eingesetzt um für die Fehler anderer einzustehen, ihm/ihr werden Lasten auferlegt, er/sie wird in die Verantwortung für die Handlungen anderer gezogen.
Evamaria Schaller: Aus dem alten Mesopotamien ist die Vorstellung überliefert, dass der Sündenbock gebraucht wird, wenn eine Gemeinschaft innerlich zerrissen ist oder sich von einer Katastrophe bedroht fühlt.
LK: Diesbezüglich muss ich an Silvia Federicis Buch “Caliban und die Hexe” (2012) denken und an ihre Einordnung der systematischen Folterung und Tötung hunderttausender Frauen im 16. und 17. Jahrhundert. Sie versteht die organisierte Vernichtung von Frauen als einen Angriff auf ihren Widerstand gegen die Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse, und ein Angriff auf die Macht, die Frauen durch ihre Sexualität, ihre Kontrolle über die Reproduktions- und ihre Heilfähigkeit erlangt hatten.
EMS: Die Frau als Sünderin und Sündenbock – die allgegenwärtige Suche nach dem oder der Schuldigen war ein wichtiger Ausgangspunkt dieser Ausstellung, da sie mich auch als Künstlerin stark tangiert.
LK: In den meisten der ausgestellten Arbeiten sind Fragmente deines Körpers abgebildet. Handelt es sich dabei um Selbstdarstellungen oder setzt du deinen Körper eher als Platzhalter ein, um über ihn hinaus zu deuten und auf konkrete Themen aufmerksam zu machen?
EMS: Genau, bei all meinen Arbeiten nutze ich meinen Körper als Stellvertreterin, oftmals ist mein Gesicht auch gar nicht zu erkennen. In der ausgestellten Fotoserie geht es mir unter anderem um Materialität, um Körperlichkeit und das Fleischliche, die fleischliche Lust der Sünde.
LK: Einige deiner Arbeiten stellen auch regelrechte Sündenbock-Attribute dar: männlich konnotierte Tier-Geweihe, Phallus-Darstellungen, aufblasbare Plastik-Dildos, die du wie Prothesen oder Module deinem Körper hinzufügst, und gemeinsam vor der Kamera inszenierst. Ich finde es interessant wie sich hier der weibliche (Künstlerinnen-) Körper mit vermeintlich männlichen Merkmalen verbindet und zu der Figur des Sündenbockes wird. Der Titel hingegen ist ja zunächst an einen Mann gerichtet: du Sünder!
EMS: Ich interessiere mich sehr für transformative Momente, wie werde ich zum Tier, zum Mann? Wie werde ich den Penis los oder wie bekomme ich einen, um gleichberechtigt dazustehen? Muss ich mir andere Attribute “aneignen”, um anders wahrgenommen zu werden? Was sind die Transformationsprozesse die wir selber stetig eingehen weil es von uns verlangt wird, oder weil wir die Freiheit haben uns eigenständig für sie zu entscheiden? Transformation hängt für mich auch mit der Frage zusammen wer etwas trägt, erträgt und was weitergetragen wird.
LK: Im Hinblick auf die Fotografien kommt für mich auch die Frage nach transformierter und geteilter Schuld auf. Nimmt sich der abgebildete Körper in den Bildern einer Sünde an, lädt er sich die Schuld auf, oder wird ihm Schuld gegeben? Beide Elemente kommen da für mich zusammen, die Bilder haben etwas lustvoll verspieltes und gleichsam auch eine dezidierte Schwere. Und da muss ich auch an die “Ursünde” denken, an den “Unheilszustand”, der durch den Sündenfall Adams und Evas herbeigeführt wurde und seither “auf den Menschen lastet”.
EMS: “Sünde”ist für mich natürlich generell ein sehr christlich-religiös konnotierter Begriff. Da ich katholisch aufgewachsen bin und in ein katholisches Mädchengymnasium ging, ist die Sünde in meiner Jugend sehr präsent gewesen. Wir haben um die Wette gebeichtet – wir waren oft bei dem zuständigen Pfarrer und haben uns etwas aus der Nase gesaugt. Sünde als Cool-Faktor. Da ist es zum Sündenbock nicht mehr weit.
ENGLISH
Evamaria Schaller, born in Graz, Austria, in 1980, lives in Cologne. She works in the fields of performance, video, installation and photography. Her exhibition Kein Bock, Du Sünder! deals with questions concerning the attribution of guilt, moral concepts, scope for possibility and justice within the framework of various series of works.
Lisa Klosterkötter: The scapegoat is a proxy, a screen that is used as a means of taking responsibility for the mistakes of others, a burden is placed on him/her, and he/she is held responsible for the actions of others.
Evamaria Schaller: The idea that a scapegoat is required when a community is torn apart or when it feels threatened by a catastrophe has been handed down from ancient Mesopotamia.
LK: This brings to mind Silvia Federici’s book ‘Caliban and the Witch’ (2012) and her classification of the systematic torture and murder of hundreds of thousands of women in the 16th and 17th centuries. She sees the organised extermination of women as an attack on their resistance to the spread of capitalist relations, and an attack on the power that women had acquired through their sexuality, their control over reproduction and their healing abilities.
EMS: The woman as sinner and scapegoat – the omnipresent search for the guilty party or parties formed important points of departure for this exhibition, as they also have a strong impact on me as an artist.
LK: Fragments of your body can be seen in most of the exhibited works. Are they self-portrayals or do you use your body more as a placeholder in order to project beyond it and to draw attention to specific issues?
EMS: Exactly, I use my body as a proxy in all of my work, most of the time my face is not even visible. In the exhibited photo series, I am dealing, among other things, with materiality, with the body and the carnal, the carnal lust of sin.
LK: Some of your works also portray veritable scapegoat attributes: animal antlers with male connotations, phallic representations, inflatable plastic dildos that are attached to your body like prostheses or modules and then staged together in front of the camera. I find it interesting how the female (artist’s) body combines with supposedly male characteristics to become the scapegoat figure. Conversely, the title is initially addressed to a man: you sinner!
EMS: I am really interested in transformative moments, how do I become an animal, or a man? How would I get rid of a penis or how would I get one in order to stand equally? Do I need to ‘acquire’ other attributes to be perceived differently? What are the transformation processes that we ourselves constantly enter into because it is demanded of us, or because we have the freedom to choose them for ourselves? For me, transformation is also related to questions of who is carrying something, bearing it and what is being passed on.
LK: With respect to the photographs, questions about transformed and shared guilt also surface in my mind. Does the body depicted in the images assume a sin, does it burden itself with guilt, or is guilt placed upon it? Both elements come together for me, the pictures possess something delightfully playful and at the same time also a dedicated weight. This makes me think of the “original sin”, the “unholy state” that was brought about by the fall of Adam and Eve and has been “burdening mankind” ever since.
EMS: Of course, for me, “sin” is generally a term with very Christian religious connotations. Having grown up Catholic and gone to a Catholic girls’ grammar school, sin was very much present in my youth. We used to compete in confession, we often went to the priest responsible and snorted things out of our noses. Sin as something cool. Then the scapegoat is not too far away.